Die Merseburger Straße ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Straßenzug im Leipziger Westen: Sie ist außergewöhnlich lang. Am Karl-Heine-Kanal in Höhe der Zschocherschen Straße beginnend, führt sie zunächst als Anliegerstraße bis zur Lützner Straße und von dort aus als Bundesstraße bis zur Stadtgrenze und weiter in Richtung Merseburg. Im Leipziger Westen verbindet sie insbesondere die Ortsteile Altlindenau und Plagwitz (und letztlich auch Schleußig) auf sehr direktem Weg miteinander.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts fungiert sie außerdem als eine wichtige Einkaufsstraße: Im Zeitraum von 1903 bis 1935 entstanden drei große Kaufhäuser zwischen Demmering- und Endersstraße; zwei weitere existierten seit 1904 bzw. 1912 in der Karl-Heine-Straße – der Bereich zwischen diesen Polen entwickelte sich zu einer der wichtigsten Einkaufsstraßen im Leipziger Westen.

Ihrer besonderen Bedeutung entsprach auch die Erschließung durch die „Lindenauer Straßenbahntrasse“: seit 1881 führte sie vom Lindenauer Markt über Odermann- und Endersstraße durch die Merseburger Straße und endete am Straßenbahnhof im heutigen Westwerk; wegen der geringen Straßenbreite führte das stadtwärtige Gleis durch die GutsMuthsstraße zurück in Richtung Lindenauer Markt. Nach einer Linienänderung wurde der mittlere Abschnitt der Merseburger Straße zwar schon ab 1917 nicht mehr planmäßig befahren, mit Ausnahme einer temporären Reaktivierung als Baustellenumleitung in den Jahren 1960/1961, die für den Neubau der Plagwitzer Brücke nötig wurde. Die Gleise lagen noch bis Ende der 1990er Jahre offen in der Mitte der Merseburger Straße.

Zu DDR-Zeiten galt die Merseburger Straße als ein attraktiver, lebendiger Einkaufsbereich und als „Flaniermeile“. Bis heute befinden sich in der überwiegenden Anzahl der Gebäude in der Merseburger Straße im Abschnitt zwischen Georg-Schwarz-Straße und Karl-Heine-Straße Laden- bzw. Gewerbeflächen in den Erdgeschossen.

Zum 40. Jahrestag der DDR wurde der Straßenabschnitt zwischen Aurelien- und Karl-Heine-Straße neu gestaltet, um der Bedeutung des Stadtraumes Rechnung zu tragen. Vorausgegangen war 1985 ein entsprechender Beschluss des Rates des Stadtbezirks Südwest zur Einrichtung einer Fußgängerzone in diesem Bereich. Wegen ungelöster Fragen und dem avisierten Fertigstellungstermin Oktober 1989 konnte aber nur eine deutlich „abgespeckte“ Variante umgesetzt werden: es entstanden Hochbeete, an einigen Stellen vorgezogene Gehwegbereiche mit Großplattenpflasterung und Straßenbeleuchtung des Typs FZL (Fußgängerzonenleuchte). Ob die Straße 1989 komplett autofrei wurde, ist derzeit noch nicht nachzuweisen. Aus Protokollen geht aber hervor, dass sie vor 1997 wohl „für den öffentlichen Verkehr“ gesperrt war.

Mitte der 1990er Jahre wurde in Verbindung mit der Modernisierung und Erweiterung des ehemaligen Kaufhauses Max Sachse (heute bekannt als „Neues Kaufhaus Held“) eine kurze Fußgängerzone zwischen Lützner und Endersstraße angelegt; geregelt über einen städtebaulichen Vertrag. Die Teileinziehung der Straße erfolgte 1996. Diese Maßnahme konnte aber keine positiven Impulse setzen, da sie gleichzeitig mit dem funktionalen „Niedergang“ des Leipziger Westens (Deindustrialisierung, erhebliche Bevölkerungsverluste, Rückgang der Kaufkraft etc. …) erfolgte. Die Fußgängerzone belebte sich wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage zunächst nicht und kam in der Öffentlichkeit quasi sofort in Verruf, so dass weitere Ansätze zu einer Reduktion des fahrenden und ruhenden Kfz-Verkehrs vor Ort auf wenig Gegenliebe stießen. Seit 1996 verfolgte des ASW das Ziel einer Straßenraumaufwertung im Abschnitt zwischen Enders- und Karl-Heine-Straße wegen des „desolaten Zustandes vieler Gebäude“ und der „schwerwiegenden Mängel der Straße“, was dazu führte, dass sie ihre „Funktion als Einkaufsstraße sowie als wichtigste Verbindung zwischen Karl-Heine-Straße und Lützner Straße fast völlig verloren“ hatte.

Die Vorüberlegungen mündeten in die Bildung von zwei Planungs- bzw. drei Bauabschnitten. Während für den Bereich Enders- bis Aurelienstraße in mehreren Varianten unterschiedlich weitreichende Gestaltungs- und verkehrsorganisatorische Vorschläge erarbeitet wurden, stellte man die Befassung mit dem Abschnitt Aurelien- bis Karl-Heine-Straße zunächst zurück: zum einen war der Erneuerungsdruck wegen der keine 10 Jahre zurückliegenden Umgestaltung noch nicht so hoch, zum anderen gab es die Initiative eines Investoren, im Zusammenhang mit der Sanierung seiner Gebäude auch eine Quartiersgarage (!) zu entwickeln – den weiteren Fortgang dieses dann doch nicht realisierten Projektes wollte man zunächst abwarten. Dabei wurde seitens des Investors auch der Wunsch nach der Fortsetzung der Fußgängerzone im Abschnitt zwischen Aurelien- und Endersstraße geäußert. Durch eine in der Presse veröffentlichte Fehlinformation wurde die Einrichtung eines „Fußgängerboulevards“ zeitweilig als städtische Zielstellung verstanden. (Eine fachliche Diskussion dazu könnte aber durchaus stattgefunden haben. 1997 wurde vom damaligen Amt für Verkehrsplanung eine „Verkehrsberuhigungskonzeption Leipzig-Plagwitz“ in Auftrag gegeben; AN war das Planungsbüro Probst Ingenieure, Dresden – es wäre vielleicht gut, sich das einmal anzusehen?)

Im September 1997 organisierte das AWS eine Bürgerbeteiligungsveranstaltung vor Ort, bei der die Vorplanungsvarianten diskutiert wurden.

Die Entscheidung zu der dann 1998/99 umgesetzten, vom Straßenquerschnitt her sehr bestandsnahen Variante erfolgte maßgeblich auch aus finanziellen Gründen so; und entsprach damals auch dem Wunsch der Gewerbetreibenden und Anwohnenden, die sich im Rahmen der Beteiligung und zusätzlich schriftlich zugunsten einer möglichst Kfz-freundlichen Planung ausgesprochen hatten. Die Umsetzung des Bauabschnittes zwischen Aurelien- und Karl-Heine-Straße wurde zunächst zurückgestellt und kam dann gar nicht mehr zustande. Die Planung hätte u.a. den Ersatz der Hochbeete durch ebenerdige Grünflächen bzw. Baumstandorte vorgesehen.

Nach 2010 kam die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Teil der Merseburger Straße nach vielen Jahren des Leerstands der Ladenzonen langsam wieder in Schwung. Gerade die sich neu ansiedelnden Gewerbetreibenden nahmen die besondere Gestaltung von 1989 als besondere Qualität wahr. So wurde z.B. der pragmatisch vorgesehene Abbau der Hochbeete wegen ihrer stark beschädigten Einfassungen durch ansässige Akteure verhindert; seitdem werden nahezu alle Hochbeete durch die Anlieger bepflanzt und gepflegt. Die starke Identifikation der Anlieger mit ihrem Straßenabschnitt führte auch zur Gründung des Vereines „Merseburger Straße e.V.“ im Jahr 2013 und zur Ausrichtung mehrerer Straßenfeste.

In den letzten Jahren nahm der Anteil der Gastronomie an den Erdgeschossnutzungen zu, hierbei machen sich auch ‚Überlaufeffekte‘ aus der Karl-Heine-Straße bemerkbar. Und festzustellen ist auch, dass sich in den letzten zehn Jahren die Frequentierung durch Radfahrende, insbesondere aber durch Fußgänger*innen, in der Merseburger Straße kontinuierlich und deutlich erhöht hat. Die bis in die Nachwendezeit wichtige Verbindungsfunktion zwischen dem Bereich Georg-Schwarz-Straße bzw. Altlindenau und der Karl-Heine-Straße bzw. Plagwitz wurde zunehmend wieder erkennbar und von Stadtteilbewohner*innen auch so empfunden.

Stadtumbaumanagement Leipziger Westen, 05.10.2022
Heiko Müller